Schulprojekt: Bericht aus Darfur vom Besuch in Tiné, Tschad, Oktober 2007
„Seit meinem letzten Besuch in Tiné ist wieder ein Jahr vergangen“, schreibt Meike Meerpohl. „Und die Lage hat sich noch immer nicht verbessert.“ Für den Verein Darfur-Hilfe e.V. besuchte sie im Oktober 2007 den Ort Tiné im Tschad. Hier hilft der Verein seit Jahren und finanziert derzeit den Bau einer Schule.
Der Darfur-Konflikt beherrscht nach wie vor die westliche Region des Sudan. Noch immer ist kein dauerhafter Friedensvertrag unterzeichnet, von Frieden fehlt weiterhin jegliche Spur. Die Regierung ist nach wie vor nicht gewillt, der verheerenden Situation ein Ende zu setzten.
Lage der Flüchtlinge unverändert
So hat sich im Alltag der Menschen, die fern ihrer Heimat in Flüchtlingslagern, bei Verwandten, IDP-Camps oder tschadischen Dörfern leben, noch immer nichts geändert. Genauso ist die Situation in Tiné fast unverändert seit meinem letzten Besuch dort im Oktober 2006. Die Ortschaft Tiné, an der Grenze zum Sudan gelegen, bildet eine Grenzstadt, deren westlicher Teil unter den tschadischen Autoritäten steht, während der östliche Teil auf sudanesischer Seite liegt, die Grenze verläuft mitten durch die Ortschaft. Der tschadische Teil beherbergt etwa 15.000 Menschen, die zum Großteil aus Darfur stammen, während der sudanesische Teil der Stadt seit mittlerweile vier Jahren menschenleer auf der anderen Seite des Wadis zu erkennen ist.
Pflege der Bausubstanz von Häusern bleibt aus
Über den Zustand der Häuser auf der anderen Seite lässt sich nur mutmaßen: üppige Regenfällen werden die Lehmmauern brüchig gemacht, Wind und Sandstürme ihr restliches getan haben, so dass die der Witterung anfälligen Häuser und Mauern mittlerweile zerfallen und eingestürzt sind. Die jährlichen Ausbesserungen an den Häusern nach Regenzeiten blieben die letzten vier Jahre aus. So beherbergt der einer Geisterstadt ähnliche, sudanesische Teil nur einige wenige Soldaten der sudanesischen Armee und eine Basis der Afrikanischen Union. Doch deren Dasein genügt, um ein Überschreiten des Wadis zu unterlassen und die tschadische Seite der Ortschaft als Wohnort vorzuziehen. Dieser wächst nach wie vor an.
Leben auf eigenen Beinen
Die Mehrzahl der Bewohner stammen aus dem Darfur und haben sich in den letzten vier Jahren hier niedergelassen, 60km entfernt von dem nächsten Flüchtlingslager Am Nabak (Duguba), um nicht in Abhängigkeit zu den mittlerweile über 80 Hilfsorganisationen zu stehen, sondern ein Leben auf eigenen Beinen zu versuchen. Das gelingt nur bedingt, da die alltägliche Situation verschiedene Probleme mit sich bringt.
Wirtschaftslage schwierig
Nicht zuletzt auch die wirtschaftliche Lage: Tine beherbergt den größten und wichtigsten Markt der Region, doch fehlen die Kunden, die zum größten Teil in einem der Flüchtlingslager leben und durch die Hilfslieferungen nicht mehr auf Produkte einheimischer Händler angewiesen sind. So haben die zahlreichen großen internationalen Organisationen die einheimische Wirtschaft geschädigt.
Schwierige Situation für einheimische Händler und Flüchtlinge
Eine schwierige Situation für einheimische Händler und Flüchtlinge, die versuchen mit Handel unabhängig zu sein und ihren Lebensunterhalt zusichern. Nichts desto trotz ziehen diese Flüchtlinge ein Leben in Tiné vor, auch wenn aufgrund der unmittelbaren Nähe zu Darfur hier keine der 80 Hilfs-Organisationen tätig ist. Wenig hat sich im Alltagsleben dieser Bewohner seit dem letzten Jahr verändert, nur die Hoffnungslosigkeit ist weiter gestiegen. Die Dorfgrenzen weiten sich aus: Immer mehr Menschen scheinen die vorübergehenden Behelfsbehausungen aufzugeben und sich hier fest anzusiedeln.
Welche Perspektiven für die Menschen in Tiné?
Keiner weiß, wie lange sie hier noch wohnen werden. Dauert der Darfur-Konflikt vielleicht auch 21 Jahre, wie sein großer Bruder, der Südsudan-Konflikt? Es scheint, als stelle man sich auf eine längere Zeit ein. Die letzten Jahren haben keine Verbesserung gebracht und was sich nur wenige Meter weiter, auf der anderen Seite der Grenze abspielt, lässt ebenfalls jeden Hoffnungsschimmer dahin schwinden. Dennoch ist für die Menschen aus Darfur klar, für immer wollen sie nicht im Tschad bleiben. In den letzten vier Jahren gehen die Flüchtlinge, die in Tiné leben, ihrem Alltag nach, ohne Unterstützung von internationalen Organisationen.
Schulbildung
Dies betrifft verschiedene Bereiche, so auch die Schulbildung ihrer Kinder. Wie bereits in vorherigen Berichten erwähnt, sind diese Schulen in Eigeninitiative der Lehrer gegründet und durch den Darfur-Hilfe-Verein durch die verschiedenen Spenden unterstützt worden. Bücher, Matten, Tafeln und Kreide wurden angeschafft und die Schulräume ausgebessert. Auch wenn der Zustand der Schule nach wie vor keinem europäischen Standard entspricht, auch nicht im Geringsten, so ist doch die Grundschulbildung bis zur achten Klasse mittlerweile gesichert. Lehrer, Schulräume und Bücher sind vorhanden, so dass der Unterricht abgehalten werden kann. Seit dem letzten Jahr steht der Gedanke im Raum, wie die Kinder auch nach der Grundschule weiterhin zur Schule gehen können. Bisher ist nach der achten Klasse Schluss.
Weiterführende Schulen nur im Sudan
Weiterführende Schulen gibt es nur im Sudan, die tschadischen Schulen verfolgen ein komplett anderes Schulsystem, ein Wechsel hierher ist nicht möglich.
Die Mädchen bleiben zu Hause, während wahrscheinlich einige Jungen in die Rebellion gehen und zu Waffen greifen, wenn sie nicht von ihren Familien zu Verwandten in Städte in den Sudan geschickt werden. Mittlerweile stehen zahlreiche Schüler aus vier Jahrgängen vor dem Nichts. Dem wollen die Lehrer seit einem Jahr ein Ende setzen und überlegen, wie eine weiterführende Schule realisiert werden kann. Bisher gibt es auch in keinem der Flüchtlingslager eine weiterführende Schule, die Organisationen, insbesondere UNICEF, hat ein solches Projekt noch nicht in Angriff genommen.
Seit einem Jahr spielt nun auch der Darfur-Hilfe-Verein mit dem Gedanken, wie eine weiterführende Schulbildung unterstützt werden kann. Im Sommer 2007 wurde beschlossen, mit Hilfe der Spendengelder den Schulbau einer solchen Schule zu realisieren. Die Lehrer der Schulen in Tiné sowie aus dem nahe gelegenen Flüchtlingslager sahen dieses Projekt als dringlich an und verzichteten dafür auf die weitere Unterstützung der Grundschulen.
Der Schulbau in Tiné
Während meines Besuches im Oktober wurden nun die Grundsteine für dieses Projekt gelegt.
Standort: Warum Tiné?
Lage von Tine in Darfur im SudanZuerst musste über den Standort der Schule entschieden werden. Wird die Schule in Tiné, im oder in der Nähe des Flüchtlingslagers errichtet? In verschiedenen Sitzungen mit den Lehrern aus Tiné und dem Flüchtlingslager Am Nabak fiel die Entscheidung zugunsten des Standorts Tiné. Dafür spricht, dass in Tiné auf eine bessere Infrastruktur als in dem kleinen Dorf Am Nabak aufgebaut werden kann und Baumaterialien vor Ort sind. Ein weiterer Vorteil ist die unmittelbare Grenznähe: Sollten die Flüchtlinge unerwartet bald in den Sudan zurückkehren können, wäre ein Schulbesuch im tschadischen Stadtteil weiterhin möglich. Gegen einen Schulbau im Flüchtlingslager spricht die Präsenz großer internationaler Hilfsorganisationen, hinter denen sich lange Ketten von Hierarchien, bürokratischen Hürden und schnell wechselnde Mitarbeiter verstecken, die jegliche fremde Projekte außerhalb ihrer eigenen Kontrolle ablehnen und behindern. Schon ein Besuch im Flüchtlingslager wird misstrauisch beäugt.
Auch ein Standort außerhalb der Lagergrenzen, in unmittelbarer Nähe dazu, erschien als undurchführbar und nicht zukunftsorientiert. Deshalb wurde Tiné als Schulstandort gewählt, auch wenn sich die Mehrzahl der Schüler im Flüchtlingslager befindet. Die Entfernung zwischen Tiné und dem Flüchtlingslager beträgt 60 km.
Schüler nach Tiné zur Schule zu schicken wurde nicht als Problem angesehen, da sie dort bei Verwandten wohnen können. Des Weiteren sprach für Tiné, dass der Bürgermeister seine volle Unterstützung wohlwollend zugesagt hatte, bereits Land zur Verfügung stellte und mittlerweile alle benötigten Genehmigungen beschafft hat.
Das Schulgebäude
Die Schule soll ein festes Gebäude aus den landesüblichen Materialien werden, zunächst mit zwei Klassenräumen à 6x8m, sowie einem Lehrerzimmer, einem Schuldirektorbüro sowie einem Lagerraum.
Für den Schulbau ist eine Kommission von fünf Lehrern gebildet worden, teilweise aus Tiné, teilweise aus dem Flüchtlingslager kommend, die für den Bau verantwortlich sein werden. Diese sind Osman Ahmed Tiggo, Muhammed Saleh Omar Nour, Bukhit Hashim Tomoni, Hussein Hashim Obe und Abdelrahman Mahmoud Dugod. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen sind, kann bereits in den nächsten Tagen mit dem Bau begonnen werden. Dafür werden zunächst etwa 150.000 Lehmziegel benötigt, die aus Lehm, Steinen und Sand des nahe gelegenen Wadi-Betts in der Sonne getrocknet werden müssen. Haben diese nach einiger Zeit in der Sonne eine Festigkeit erreicht, kann mit dem Mauern begonnen werden. Materialien wie Zement, Stahl und Wellblech für die Dachkonstruktion werden nach Bedarf aus der Hauptstadt geliefert. Wenn alles ohne Komplikationen verläuft, kann die Schule bereits in einigen drei Monaten fertig gestellt werden, so dass der Schulunterricht so schnell wie möglich aufgenommen werden kann. Zur Durchführung dieses Projekt werden die Spendengelder der verschiedenen großzügigen Spender der letzten Monate verwendet werden mit dem Ziel, die Schulbildung der Flüchtlingskinder aus Darfur in der Region um Tiné weiter voran zu treiben, zu verbessern und zu erweitern.
Grundriss und Seitenansicht des Schulbaus
Schulbildung: bessere Berufschancen der Kinder
Die Schulbildung ist eine wichtige Voraussetzung für eine Zeit nach dem Krieg, auf bessere Berufschancen der Kinder. Denn sie bestimmt die Zukunft der einzelnen Schülern, derer Familien, der Region und des Landes.
Der Darfur-Hilfe-Verein versucht, dies bestmöglich zu unterstützen und zu fördern. Daher bedankt sich der Verein auch im Namen der Lehrer und Schüler der Darfur-Flüchtlinge in Tiné und Am Nabak bei allen Spendern für ihre Zuwendungen, welche die Realisierung dieses Projektes möglich machen!
Einen Bericht zur Fertigstellung der ersten Räume der neuen weiterführenden Schule in Kürze!
Meike Meerpohl